Gefährliche Bibel

Stuttgart, 13.05.2024  Mit der Bibel in der Hand wurden ganze Kontinente kolonialisiert und Antisemitismus genährt, Menschen unterdrückt und Gewalt gerechtfertigt. Jüngere bibelwissenschaftliche Forschungen analysieren nun, auf welche Weise neurechte Ideologien die Bibel für ihre Agenda benutzen – und wie die Bibelwissenschaften dem entgegentreten können.

Die Extreme Rechte in Deutschland gibt sich – Im Gegensatz zu anderen europäischen atheistisch-neurechten Bewegungen – ein christliches Image und baut seit den 1990er-Jahren Kontakte zu christlichen Netzwerken aus. Dabei nimmt sie ausdrücklich Bezug auf die Bibel. Dass dahinter rechtsextreme und demokratiefeindliche Strategien stehen, analysiert die Expertin für Theologische Fundamentalismusforschung Sonja Angelika Strube in der neuen Ausgabe von Bibel und Kirche (2/2024; Gefährliche Bibel. Gefährliches Denken). 

Strube untersucht die Auslegungs-Strategien am Beispiel der Fundamentalgleichheit und der gleichen Würde von Menschen. Gleichheit und Würde fußen auf der Schöpfungserzählung in Genesis 1 und sind unverrückbare Kernaussagen christlicher Ethik. Diese Gleichheit aber sowie das Nächstenliebegebot „stehen der Extremen Rechten im Weg“, wie Strube formuliert. Das Nächstenliebegebot wird daher identitär nur auf die eigene Sippe, das eigene Volk eingeschränkt. Die pseudo-theologische Begründung lautet, Jesus habe nirgends zur Jedermannsliebe aufgefordert. Nächstenliebe gelte demnach „den Nächsten, nicht den Fernsten.“  Die biblische Aufforderung in Levitikus 19,33-34 auch den Fremden in die Liebe einzuschließen sowie die Erfahrung des eigenen Fremdseins des Volkes Israel werden bewusst ausgelassen. Die Diversität der Schöpfung werde zur „gottgewollten hierarchischen Ungleichheit“ umgedeutet, so Strube. Damit könne man Ungleichheit von Status, Stand, Klasse oder Geschlechtern zum Willen Gottes erklären. 

Bei verschiedenen extrem rechten Strömungen stellt Strube mit Bezug auf diese pseudo-biblische Argumentation den „Willen zur Widererrichtung einer hierarchischen und vor allem männerdominierten, aggressiv patriarchalen Ordnung“ fest. Während das Zweite Vatikanische Konzil jeder fundamentalistisch-wörtlichen Auslegung der Bibel eine Absage erteilt hat, konstruieren dagegen traditionalistische Kreise aus dem poetischen Schöpfungsvers „männlich und weiblich erschuf er sie“ zwei absolut unterschiedliche hierarchisch gestaffelte Geschlechterrollen als biologisches Faktum. Hierher rühre die Forderung, dass „nur ,echte‘ Männer und Frauen der göttlichen Ordnung entsprächen“, so Strube. Gott wolle demnach in seiner Schöpfung keine Diversität. Vermeintliche Abweichungen erscheinen nach dieser biologistischen Lesart als krankhaft und sündig. Bibelwissenschaftlich lässt sich auch das leicht widerlegen: Das ganze Schöpfungslied ist in „Merismen“ aufgebaut, also Zweierpaaren, die zwischen zwei Polen die vielen Varianten der Schöpfung erfassen – alle Geschlechter und sexuellen Orientierungen.

Strube sieht in der Anknüpfung an Bibel und Christentum eine bewusste Selbst-Verharmlosung, die in der Mitte der Gesellschaft emotionale Barrieren gegen die Extreme Rechte abbauen sollen: „Ziel ist eine gesamtgesellschaftliche ,Normalitätsverschiebung‘ in Richtung eines ausgrenzenden, autoritären und antidemokratischen Denkens“. 

Die Ausgabe „Gefährliche Bibel. Gefährliches Denken“ nimmt weitere Themen ins Visier, für die biblische Texte missbraucht werden, etwa Antisemitismus, Sexualmoral, Unterdrückung von Frauen oder Kolonialismus.

Mehr erfahren: Inhalt „Gefährliche Bibel. Gefährliches Denken“ (Bibel und Kirche 2/2024)

Andreas Benk
Christentum und Antisemitismus

Thomas Hieke
Bibel nicht benutzen!
Gegen den Missbrauch der Bibel auf dem Gebiet der Sexualität

Sonja Angelika Strube
Rechtfertigung von Ideologien der Ungleichwertigkeit
Extrem rechte Zugriffe auf die Bibel

Stefan Silber
Anders, ver-ndert, ausgegrenzt
»Othering« als Herrschaftsstrategie in postkolonialer Perspektive

Ottmar Fuchs
Wie wir mit der Bibel Menschen ein- oder ausschließen können
Ein Beitrag zur inhaltlichen Bibelkritik

Tania ldenhage
Die Tür offenhalten
Feministische Stimmen zu den zehn jungen Frauen (Matthäus 25,1–13)

Sana Iqbal
Doch ich werde dich nicht vergessen!
Jesaja 49,14–26 mit den Augen pakistanischer Frauen gelesen

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Bibel und Kirche ist eine der beiden Mitgliedszeitschriften der Bibelwerke in Deutschland, Österreich und Schweiz. Vier Themenhefte informieren jährlich über aktuelle Entwicklungen zur Bibel in Universität, Kirche, Schule und Erwachsenenbildung. Die verständlichen Beiträge sind mit wissenschaftlicher Expertise geschrieben und geprüft. Sie wird von 10.000 Abonnentinnen und Abonnenten gelesen. 

Weitere Informationen: 

Gefährliche Bibel. Gefährliches Denken 

Bibel und Kirche 2/2024 

ISBN 978-3-948219-19-2, 60 S., 

Katholisches Bibelwerk e.V. 2024
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