Bibel als Traumaliteratur. Wie biblische Texte versuchen über das Unsagbare zu sprechen.

Stuttgart, 18. März 2025. Schon lange weiß die Bibelwissenschaft, dass die Mehrheit der biblischen Texte in und nach Krisensituationen wie dem babylonischen Exil entstanden oder zumindest überarbeitet wurden. Aber erst in jüngster Zeit wird man aufmerksam dafür, dass dadurch eine Art kollektive Verarbeitung von Traumata geschehen konnte: Im Gespräch mit Gott und der eigenen Tradition entsteht Sprache für all die Erfahrungen von Verlust, Zerstörung, Deportationen, Hunger, Flucht und Tod. Wie ändert das die Lektüre und wozu hilft uns das heute? 

Die neue Ausgabe von Bibel und Kirche 1/2025 macht sich auf eine experimentelle Suche danach, was geschieht, wenn biblische Texte mit Hilfe der Erkenntnisse der Traumaforschung gelesen werden. 

Eine der ersten Forscherinnen, die mit Perspektiven aus der Traumaforschung biblische Texte las, ist Ruth Poser. Sie untersuchte am Beispiel des Buches Ezechiel, ob und wie Symptome, die medizinisch als Merkmale von posttraumatischen Belastungsstörungen beschrieben werden, auch literarische Texte prägen. Zu nennen wäre hier z.B. Fragmentierung der Erinnerung, starkes Kontrollbedürfnis, Vermeidungsstrategien, Flucht- und Totstellreflex, Erschöpfungsdespressionen u.a. Für Bibel und Kirche fokussiert sich Ruth Poser auf das Stummheitsmotiv im Ezechielbuch. Sie interpretiert darin die auffallende Diskrepanz vom „nicht-mehr-Sprechen-können“ des Propheten und dem wiederholtem (nicht erfüllten!) Verkündigungsauftrag als Prophet. Die berühmte Szene, in der Ezechiel die Schriftrolle verschlucken muss, liest sie als „gewaltvolle Mahlzeit“, die ihm die (eigene) Sprache verschlägt. Als er zu den Verschleppten kommt, spricht er gerade nicht mit ihnen, sondern: „wo sie saßen, da saß ich sieben Tage lang unter ihnen, schreckensstarr.“ (Ezechiel 3,15). Erst nach Neubelebung der toten Gebeine mit der Geistkraft in Ezechiel 37 verharrt das „Haus Israel“ nicht mehr im Schweigen, sondern kommt ins Sprechen und Protestieren. „Dadurch, dass Gott die Schreie hörbar macht … wird die Wieder- und Neueinbindung der im Krieg zutiefst Verwundeten in die Befreiungsgeschichte des Exodus im Text Wirklichkeit.“

Weitere alttestamentliche Texte, die mit dieser Lesebrille neu gelesen werden, sind die Klagelieder, Ps 137, die Bücher Jona und Ijob. Überraschend ist die von Monika Fander angebotene Lektüre des Markusevangeliums als ein langsamer „qualitativer Sprung ins Vertrauen. Manchen Traumatisierten ist das möglich.“ 

________________________________________

Mehr erfahren: 

Inhalt „Bibel als Traumaliteratur lesen“ (Bibel und Kirche 1/2025)

Irmtraud Fischer
Die Bibel mit Trauma-Hermeneutik lesen

Christl M. Maier
Jerusalems Klage als Traumaerinnerung

Nikolett Móricz
Kollektive Traumata und “memoria passionis” in Ps 137

Ruth Poser
Das Buch Ezechiel
Ein sprachloser Prophet erzählt von unsäglicher Kriegsgewalt

Irmtraud Fischer
Abschied vom Märchenbuch: Jona als Traumaliteratur gelesen

Dorothé Schleenstein
Ijobs Leiden als Weg aus dem Trauma

Monika Fander
Doppelt traumatisiert – Das Markusevangelium als Traumaliteratur

Poetische Texte
Zwischenruf von Regina Heyder
Literatur zum Heftthema, Mitgliederforum


• Weitere Informationen:
Texte über das Unsagbare. Bibel als Traumaliteratur lesen
Bibel und Kirche 1/25, 66 S., € 9,80, 
ISBN 978-3-948219-66-6
www.bibelundkirche.de

• Bezugsquelle:
bestellung(at)bibelwerk.de; 
Tel. 0711 61920-26;
im Abonnement bei 
Katholisches Bibelwerk e.V., 
Tel. 0711 61920-50, 
online unter 
www.bibelundkirche.de

• Pressekontakt: 
Ralf Heermeyer
Tel. 0711 61920-55 
presse(at)bibelwerk.de


Katholisches Bibelwerk e.V.
Silberburgstr. 121
70176 Stuttgart

• Interviewpartner zum Thema vermitteln wir gern. 
• Rezensionsexemplare können Sie unter presse(at)bibelwerk.de anfordern.