Warum Jesus die Sklaverei nicht infrage gestellt hat
Ambivalenter Umgang mit Sklaverei im Neuen Testament Sklaverei um
Die Evangelien überliefern Aussprüche und Gleichnisse Jesu, in denen er mit großer Selbstverständlichkeit von Sklaverei spricht. Im Römischen Reich war Sklaverei alltäglich– ohne die Arbeit von Sklavinnen und Sklaven funktionierte diese Gesellschaft nicht. Die neue Ausgabe der Zeitschrift „Welt und Umwelt der Bibel“ erläutert die Ambivalenz der Bibelstellen.
Jesus spricht etwa in Gleichnissen, von „Sklaven“, aber auch das Verhältnis Gott-Mensch stellt er wiederholt als Herr-Sklave-Zuordnung vor Augen. Sklaverei war in der Welt des 1. Jahrhunderts allgegenwärtig: Sklaven und Sklavinnen schufteten in Bergwerken, auf Feldern, in Gaststätten oder Bordellen. Als Personen waren sie rechtlos und in jeder Hinsicht Eigentum ihres Herrn: mit Körper, Arbeitskraft, Sexualität und Gebärfähigkeit. Folgerichtig mussten sie damit rechnen, verkauft, vermietet oder verpfändet werden. Die Sklaverei als soziale Institution im Umfeld der Bibel war schlicht nicht wegzudenken – und dennoch ein strukturelles Gewaltverhältnis, wie der Bonner Neutestamentler Christian Blumenthal in der neuen Ausgabe von Welt und Umwelt der Bibel klarstellt (2/2023; „Sklaverei. Antike Realität und biblische Texte“ ). Wenn von Jesus Sklavensprüche und -gleichnisse überliefert werden, dann zementieren sie unweigerlich die bestehenden sozialen Strukturen und tragen ◊starke ungleichseitige Abhängigkeitsstrukturen in die Beziehung zwischen Gott und den Menschen ein“.
Gleichzeitig ist die Botschaft Jesu von der gerechten Welt der Gottesherrschaft „eminent gesellschaftskritisch“, so Blumenthal. Die Menschen am Rand der Gesellschaft sollten in den Evangelien in die Mitte rücken – Jesu Handeln an den Armen und Ausgestoßenen zeigt das konkret. Ehre, Willkür, Macht und Vorrangstellung sollten eben nicht mehr das Handeln motivieren, wie Jesus seinen Nachfolgenden intensiv nahelegt. Die frühen Gemeinden sehen sich in der mit Christus angebrochenen Endzeit und ihre Texte zeugen vom Willen, das Zusammenleben gerechter zu gestalten. Dennoch: Sklaverei abzuschaffen, war kein Thema. So stellt Blumenthal fest, dass Jesus und die neutestamentlichen Entwürfe in einer Spannung zwischen Konservierung und Überwindung bestehender sozialer Strukturen bleiben.
Für heutige Leserinnen und Leser ist der kritische Blick auf die Sklavereitexte aber auch eine Chance, sensibel zu werden für Machtstrukturen und ungerechte Abhängigkeitsverhältnisse.
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Mehr erfahren: Inhalt der Ausgabe Welt und Umwelt der Bibel 2/2023
„Sklaverei. Antike Realität und biblische Texte““
Rainer Kessler
Der Gott der Befreiung und die Sklaverei
Sklaverei in den Texten des Alten Testaments
Vertrag über den Verkauf eines Sklaven in Samaria
Die Samaria-Papyri
Christian Blumenthal
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Ambivalente Umgangsweisen mit Sklaverei im Neuen Testament
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Das römische Modell einer transitorischen Sklaverei
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Kann Sklaverei gerecht sein?
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Sklaven Gottes - Sklaven der Kirche
Der Umgang mit Sklavinnen und Sklaven im Mönchtum
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Menschenhandel heute
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Welt und Umwelt der Bibel – Archäologie, Kunst, Geschichte erscheint seit über 25 Jahren im Katholischen Bibelwerk e.V., in Kooperation mit dem französischen Magazin ◊Le Monde de la Bible“ (Bayard Presse). Forschende aus den Feldern Theologie, Archäologie, Kunst, Judaistik, Islamwissenschaft, Ägyptologie und Orientalistik berichten über Kultur, Religion und Geschichte der biblischen Länder. Damit ist das Magazin international, ökumenisch und interdisziplinär aufgestellt. Jede Ausgabe umfasst aktuelle archäologische Meldungen und Forschungen, Ausstellungs- und Veranstaltungstermine sowie Literaturtipps.
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• Weitere Informationen:
„Sklaverei. Antike Realität und biblische Texte“
Welt und Umwelt der Bibel 2/23 (Nr. 108) ,
80 S., EUR 12,80,
ISBN 978-3-948219-55-0
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