Liebt eure Feinde! Die alte Bergpredigt neu gelesen

(Stuttgart, 24. Februar 2025) Wie wollen wir in Europa zusammenleben? Welche Normen sollen für alle gelten? Wie halten wir es mit Krieg und Frieden? Was verstehen wir unter sozialer Gerechtigkeit? Wie gehen wir mit unterschiedlichen Religionen um? Kurz: Welche Werte, welche ethischen und sozialen Normen können für jede und jeden einzeln, aber auch für eine ganze Gesellschaft ein Leitfaden sein? Diese Fragen drängen und bedrängen. Die Bergpredigt zu lesen ist aktueller als uns lieb ist!  

„Es gibt einen Riss in allem, damit das Licht durchdringen kann“ („There is a crack in everything, that`s how the light gets in.“– so sang Leonhard Cohen. Stefan Seidel zitiert diesen Satz in einem Interview zur Aktualität der Bergpredigt. Er geht davon aus, dass die Konzepte der Bergpredigt in unserer so konfliktgeladenen Welt ein anderes Denken, andere Verhandlungs- und Dialogprozesse und damit eben auch andere Entscheidungen fördern könnten. Er hält eine Lektüre der Bergpredigt für impulsgebend, um aus in gewissem Sinn apokalyptischen und alternativlos erscheinenden Endkampfszenarien auszusteigen: Es geht um Deeskalation, Begrenzung der eigenen Verluste und Selbstzerstörung, Aussteigen aus der Eskalationsdynamik von Konflikten und Kriegen. Die Parallelitäten in der aktuellen Weltwahrnehmung mit der Zeit der römischen Besatzung sind offensichtlich. Der Evangelist Matthäus legt Jesus Sätze in den Mund, die ermöglichen sollen, den Kreisläufen der Gewalt zu entkommen und zu überleben.  
Zur Bergpredigt (Mt 5-7) gehören einige der wohl bekanntesten Bibeltexte wie das Vater Unser, die Seligpreisungen, die Antithesen und die Goldene Regel. Gerade die Antithesen haben in der christlichen Auslegungsgeschichte häufig zu antisemitischen Missverständnissen geführt. Prof.in Dr. Sabine Bieberstein setzt neuere Forschungen dagegen: „Es geht nicht um die Abschaffung oder Relativierung der Tora, sondern um deren rechte Auslegung.“ Sie zeigt an vielen Beispielen auf, wie stark die biblischen Texte eingebunden sind in zeitgenössische Diskussionen innerhalb des Judentums. Das Gebot der Nächstenliebe ist direkt aus Levitikus 19,18 zitiert. Zwar gibt es im Alten Testament kein ausformuliertes Gebot der Feindesliebe wie in Matthäus 5,44: „Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen…“ Allerdings wird schon im unmittelbaren Kontext von Lev 19,18 aufgefordert, „gegenüber dem schuldig gewordenen Nächsten keinen Hass zu hegen, keine Rache zu üben und ihm nichts nachzutragen.“ Das alles – so Prof.in Bieberstein weiter, wird auch den damaligen Schriftgelehrten nicht entgangen sein. An vielen weiteren Stellen im Alten Testament wird zu Hilfeleistungen und Mitmenschlichkeit im Blick auch auf Feinde aufgerufen. Auch wenn das Wort „Feindesliebe“ nicht theoretisch verwendet wird, in der Praxis ist sie da! Es gilt daher, neu zu lernen, Jesus inmitten der jüdischen Diskurse seiner Zeit zu verorten. 
Weitere spannende „Verortungen“ in der griechisch-römischen Umwelt und ihren philosophischen wie ethischen Debatten, dem frühen Mönchtum und bis hin ins christliche Mittelalter bereichern die Reise in die Wirkungsgeschichte der Bergpredigt. Überraschend auch der Beitrag von Dr. Patrick Isa Brooks, der aufzeigt, dass einerseits im Koran selbst und auch im Hadith (Sammlungen von Aussprüchen und Taten des Propheten) aufgrund deren Zentrierung auf den Propheten Mohammed wenige direkte Aufnahmen der Bergpredigt zu finden sind. Brooks geht aber davon aus, dass „die Übernahme jesuanischer Lehren der islamischen Ethik keine neuen Werte vermittelt hat, aber die Rezeption neutestamentlicher Jesusworte dazu beigetragen hat, das Frömmigkeitsideal früher Asketen – und damit auch der späteren islamischen Mystik (Sufismus) und ethischen Erziehung – zu bekräftigen.“

Der Inhalt von Die Bergpredigt. Ursprung – Geschichte - Wirkung: 

Die Bergpredigt in Zahlen und Fakten –
ein erster Zugang

Sabine Bieberstein
Die Bergpredigt als Schriftauslegung
Wie originär ist die Bergpredigt?

Sabine Bieberstein
Themen der Bergpredigt in der nachbiblischen
jüdischen Diskussion

Dr. Amy-Jill Levine
„Der Zaun um die Tora“
Die Bergpredigt aus jüdischer Perspektive gelesen

Gerd Häfner
Anspruchsvoll und anschlussfähig
Die Bergpredigt in ihrer griechisch-römischen Umwelt

Gabriele Ziegler
Der Gipfel der Vollkommenheit
Wie die frühen Mönche Ideale der Bergpredigt zu leben versuchten

Georg Röwekamp
Auf der Suche nach einem namenlosen Berg
Der Ort der Bergpredigt

Daniela Blum
Zum Scheitern verurteilt? Das Ideal Jesu in der mittelalterlichen Rezeption
Ein Leben nach der Bergpredigt

Hans-Ulrich Weidemann
Brüder und Söhne
Die Bergpredigt als Text für Männer

Patrick Isa Brooks
Jesus in der frühislamischen asketischen Tradition
Das Echo der Bergpredigt im Islam

Interview
„Durch diese Risse dringt der Frieden“
Ein Gespräch mit Stefan Seidel 

Welt und Umwelt der Bibel – Archäologie, Kunst, Geschichte erscheint seit über 25 Jahren im Katholischen Bibelwerk e.V., in Kooperation mit dem französischen Magazin „Le Monde de la Bible“ (Bayard Presse). Forschende aus den Feldern Theologie, Archäologie, Kunst, Judaistik, Islamwissenschaft, Ägyptologie und Orientalistik berichten über Kultur, Religion und Geschichte der biblischen Länder. Damit ist das Magazin international, ökumenisch und interdisziplinär aufgestellt. Jede Ausgabe umfasst aktuelle archäologische Meldungen und Forschungen, Ausstellungs- und Veranstaltungstermine sowie Literaturtipps. 


• Weitere Informationen:
Die Bergpredigt. Ursprung – Geschichte – Wirkung  
Welt und Umwelt der Bibel 1/25 (Nr. 115) , 80 S., € 12,80, 
ISBN 978-3-948219-62-8
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