„Mit der Bergpredigt lässt sich keine Politik machen“?

Die Aussage, die Bergpredigt sei nicht politiktauglich, wird unter anderem Helmut Schmidt zugeschrieben. Mit dem Appell zur proaktiven Gewaltlosigkeit wirkt das Programm Jesu provokant. Mit Blick auf die weltpolitischen Krisen sowie den gesellschaftlichen Diskurs, der von Konflikten, Hass und Feindseligkeit geprägt ist, neigt man dazu, dem Zitat zuzustimmen.

Der Journalist Stefan Seidel jedoch plädiert dafür, die Bergpredigt ernst zu nehmen, sie als wertvolle Impulsgeberin auch für eine politische Lösungssuche aus Spaltung und Gewalt zu verstehen. Um aus Kriegslogik auszubrechen, müsse ein radikales Umdenken passieren – aus der Affektebene in die Ebene der Ratio, hinaus aus der Verfeindung hin zu einer Bejahung des anderen.

Wie schwer es jedoch ist, die radikalen Forderungen der Bergpredigt im Alltag zu leben, merkten schon christliche Bewegungen im Mittelalter bei dem Versuch, die hohen Ideale Jesu kompromisslos in der Lebenspraxis umzusetzen. 

Die verschiedenen Gruppierungen versuchten dabei besonders die Forderungen nach Gerechtigkeit, Gewaltlosigkeit und Armut in ihrer Welt Wirklichkeit werden zu lassen und verknüpften diese Ideale mit der apostolischen Lebensweise der Jünger Jesu. 

In der Praxis scheiterten die meisten der ehrenwerten Versuche der Bewegungen, zu denen z.B. die Katharer oder Waldenser gehörten. Lebte man ein radikales, besitzloses und geistig elitäres Leben im Lichte der Bergpredigt, funktionierte das meist nur für einzelne. Massenwirksam ließ sich ein solches Leben nicht durchhalten.

Die hohen ethischen Standards und die vorbildliche jesuanische Lebenspraxis irritierte zudem die damalige, sich zentralisierende und zunehmend herrschaftlich auftretende Kirche. Selbst Kleriker schienen solchen Anforderungen nicht gerecht zu werden. Absurderweise wurden daher viele der Bewegungen als nicht rechtgläubig verketzert.

Es ist also gar nicht so einfach, die Bergpredigt zu leben und ernst zu nehmen. Doch der Versuch lohnt sich!

Um einen Einblick zu bekommen, in welchen religiösen wie gesellschaftlich-politischen Kontexten die Bergpredigt mit ihren Appellen noch aufgenommen wurde, empfehlen wir zum Vertiefen:

Welt und Umwelt der Bibel Nr. 115 „Die Bergpredigt. Ursprung, Geschichte, Wirkung“
(Mit Interview zur Aktualität der Bergpredigt in Zeiten von Kriegslogik und Feindseligkeit und Beiträgen zur Rezeption der Forderungen der Bergpredigt nach Gerechtigkeit, Gewaltlosigkeit und Armut)