Die beiden Briefe an Timotheus
Die Pastoralbriefe
Der erste und der zweite Brief an Timotheus sowie der Brief an Titus werden Pastoralbriefe (lateinisch „pastor“ = Hirte) genannt. Im Mittelpunkt dieser Briefe steht die Begründung und inhaltliche Klärung des kirchlichen Hirtenamtes. Formal und inhaltlich heben sich diese Briefe von den echten Paulusbriefen ab. Es fehlen nicht nur zentrale Begriffe der paulinischen Theologie, sondern die in den Briefen zur Sprache kommende Gemeinde- und Ämterstruktur ist wesentlich differenzierter als in den echten Paulusbriefen. Insofern kann nicht Paulus selbst der Verfasser dieser Briefe sein, sondern es muss ein Paulusschüler (oder eine Schülergruppe) sein, der (die) ganz im Sinne und mit der Autorität des Apostels Paulus seine Lehre den neuen Zeitumständen gemäß auslegt (auslegen).
Die Vorstellung von der unmittelbaren Wiederkunft Christi („Parusie“) tritt immer mehr in den Hintergrund, so dass die Christen sich auf das Leben in dieser Welt für eine längere Zeit einzustellen haben. Zeitlich wird man die Abfassung der Pastoralbriefe um das 100 n. Chr. ansetzen müssen.
Der erste Brief an Timotheus
Der Brief ist an einen der engsten Mitarbeiter des Apostels Paulus adressiert. Timotheus ist seit etwa 50 n. Chr. Mitarbeiter des Paulus. Nach 1 Tim 1,3 ist er von Paulus beauftragt, die Irrlehrer in Ephesus zu bekämpfen.
Aufbau
Auf Anschrift und Gruß in 1 Tim 1,1-2 folgt im ersten Teil (1,3-20) die Behandlung grundlegender Themen: Bekämpfung der Irrlehrer und Verantwortung des Lehrers für seine Gemeinde (1,3-7); das Gesetz im Licht des Evangeliums (1,8-11); Berufung des Paulus in den Dienst für das Evangelium (1,12-17); Ermahnung des Timotheus zu verantwortungsbewusster Ausführung (1,18-20).
Der zweite Teil 1 Tim 2,1-6,19 beginnt mit Anweisungen zum Gottesdienst (2,1-15). In 3,1-16 werden die Bedingungen für die Übernahme eines kirchlichen Amtes dargelegt. Darauf folgen in 4,1-11 Mahnungen, die zum Kampf gegen die Irrlehrer ermuntern sollen, und Weisungen an Timotheus hinsichtlich einer rechten Lebensführung (4,12-5,2). In 5,3-6,2a werden verschiedene Gruppen (Witwen, Älteste, Sklaven) der Gemeinde behandelt. Es folgen in 6,2b-19 Warnungen vor Irrlehre und vor Habsucht, verbunden mit der Ermahnung, dass Timotheus sich für den überlieferten Glauben einsetzt.
Der Brief schließt in 6,20-21 mit einer Mahnung und einem Gruß.
Entstehung
Die Abfassung des ersten Timotheusbriefs dürfte um 100 n. Chr. geschehen sein. Als Abfassungsort kommt vermutlich nur Kleinasien in Frage.
Inhalt
Im Mittelpunkt des ersten Timotheusbrief steht als Ziel der rechten Unterweisung die „Liebe aus reinem Herzen, gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben“ (1,5). Die Irrlehrer, gegen die Timotheus vorgehen soll, verstehen die Tora in einem falschen Sinne, denn sie ist nur für Gesetzlose und Ungehorsame bestimmt, nicht aber für Gerechte (1,9).
In den in 2,1-6,19 gemachten Anweisungen fällt nicht nur die untergeordnete Stellung der Frau in der Gemeinde auf (2,8-15), sondern auch der Kriterienkatalog, der für die Besetzung eines Bischofsamts oder des Diakonenamts maßgebend ist (3,1-13).
Der zweite Brief an Timotheus
Im Unterschied zum ersten Timotheusbrief ist der zweite Timotheusbrief persönlicher gehalten. Timotheus wird als enger Vertrauter des Apostels Paulus angeredet. Er wird vom Verfasser des Briefs gestärkt und ermutigt, damit er weiterhin ganz im Sinne der paulinischen Lehre wirkt.
Der Brief stammt selbst nicht vom Apostel Paulus, auch wenn er Nachrichten über das Wirken des Apostels aus seiner Spätzeit enthalten mag.
Aufbau
Der zweite Timotheusbrief gliedert sich wie folgt:
2 Tim 1,1-2 (Anschrift und Gruß)
2 Tim 1,3-5 (Dankgebet)
2 Tim 1,6-18 (Ermutigung des Timotheus für das Evangelium einzutreten)
2 Tim 2,1-13 (Leid und Verfolgung im Dienst Christi)
2 Tim 2,14-26 (das rechte Verhalten gegenüber Irrlehrern)
2 Tim 3,1-9 (endzeitliche Sittenlosigkeit der Menschen)
2 Tim 3,10-17 (Timotheus als vorbildlicher Amtsträger der Kirche)
2 Tim 4,1-8 (Ermahnung des Timotheus zum unerschrockenen Dienst)
2 Tim 4,9-18 (persönliche Mitteilungen und Aufträge)
2 Tim 4,19-22 (Grüße und Segenswünsche)
Entstehung
Wie die übrigen Pastoralbriefe (1 Tim und Tit) wird auch der zweite Timotheusbrief um 100 n. Chr. verfasst worden sein.
Inhalt
Im Mittelpunkt steht die Bewahrung und Interpretation der christlichen Tradition, vor allem der paulinischen Lehre. Angesichts der Spaltungen und Unsicherheiten in den christlichen Gemeinden soll die Tradition mit ihrer Kraft neu entdeckt werden. In diesem Zusammenhang gilt es, die Gemeinden vor den Irrlehrern mit ihren Ansichten zu schützen. Eine Ansicht besteht darin, dass eine Auferstehung von den Toten verneint wird, da es nur eine innerweltliche Auferstehung zum wahren Selbst gibt (vgl. 2 Tim 2,18). Mit der Abwehr der Irrlehrer ist zugleich auch eine Rückgewinnung derjenigen verbunden, die dieser Irrlehre anhängen (vgl. 2 Tim 2,25).
Pastoralbriefe
Bibel und Kirche 3/1991