Das Buch Daniel
Im Mittelpunkt des Danielbuchs steht ein junger jüdischer Mann namens Daniel (hebräisch „Gott hat [mir] Recht verschafft“). Als Angehöriger des judäischen Königshauses hat es ihn nach der Eroberung Jerusalems 586 v. Chr. an den Hof des neubabylonischen Königs Nebukadnezzar verschlagen. Zusammen mit seinen drei Freunden Hananja, Mischael und Asarja wird er in Sprache und Schrift der Babylonier ausgebildet. Aufgrund ihres jüdischen Glaubens geraten alle vier am königlichen Hof immer wieder in Schwierigkeiten. Der Gott Israels rettet sie aber jedes Mal, denn er ist der wahre Weltenherrscher, der über jeden irdischen König steht. Daniel erweist sich als überragender Traumdeuter (vgl. Dan 2; 4) und hat auch selbst Träume und Visionen (ab Dan 8).
Aufbau
Dan 1-12 schlüsselt sich in seiner Endgestalt in einen Erzählteil (Dan 1-6) und einen Visionsteil (Dan 7-12) auf. Die einzelnen Erzählungen in Dan 1-6, die jedes Mal gut ausgehen, gliedern sich wie folgt:
Dan 1: Daniel und seine Freunde am neubabylonischen Königshof.
Dan 2: Nebukadnezzars Traum von den vier Weltreichen (Babylonien, Medien, Persien,
Griechenland) und deren Ablösung durch die Gottesherrschaft.
Dan 3: Daniels Freunde im Feuerofen, weil sie sich weigern, das goldene
Standbild des Königs anzubeten.
Dan 4: Nebukadnezzars Hochmut, Fall und Wiederherstellung.
Dan 5: Das Gastmahl von König Belschazzar.
Dan 6: Daniel in der Löwengrube und seine Errettung durch den Gott Israels.
Im Visionsteil Dan 7-12 treten die Zukünftigkeit der Gottesherrschaft und damit das Ende der Weltreiche in den Vordergrund. In Dan 7 wird einem, der wie ein Mensch aussieht, die Weltherrschaft übergeben.
Mit Dan 13 und 14 werden seit der lateinischen Bibelübersetzung (Vulgata) drei weitere Erzählungen an das Danielbuch angefügt, die im hebräisch-aramäischen Danielbuch fehlen und als Einzelerzählungen erst in der griechischen Übersetzung (Septuaginta) vorliegen:
Dan 13: Die Erzählung von der schönen Susanna.
Dan 14,1-22: Die Erzählung vom Kultbild des Gottes Bel (= Marduk).
Dan 14,23-42: Die Erzählung vom Drachen.
Entstehung
Zieht man die Zusätze, die durch die griechische Übersetzung (Septuaginta) dem Danielbuch in Dan 3 und mit Dan 13-14 beigefügt wurden, ab, und berücksichtig man, dass Dan 2,4b-7,28 in aramäischer Sprache vorliegt, dann ergibt sich folgendes Entstehungsmodell für das Danielbuch:
Ein Grundbestand von Daniellegenden in aramäischer Sprache entstand schon unter persischer Herrschaft (539-331 v. Chr.) und wurde spätestens im 3. Jh. v. Chr. gesammelt und zusammengestellt (Dan 3-6). In der darauf folgenden Auseinandersetzung mit den Seleukiden und wegen judenfeindlicher Strömungen im Hellenismus wurden die Visionen von Dan 2 und Dan 7 (Rahmung!) sowie das Einleitungskapitel Dan 1 (in aramäischer Sprache) zugefügt, so dass ein aramäisches Danielbuch Dan 1-7 entstand. Als sich diese Auseinandersetzung zuspitzte, indem man den JHWH-Tempel in einen Zeustempel umfunktionierte, wurde an das aramäische Danielbuch das Visionskapitel 8 angeschlossen und das Einleitungskapitel 1,1-2,4a ins Hebräische übersetzt. In einem letzten Schritt kamen weitere Visionen (Dan 9.10-12) hinzu, so dass Dan in der ersten Hälfte des 2. Jh.s v. Chr. zu einem apokalyptischen Buch wurde.
Inhalt
Als apokalyptisches Buch legt Dan dem Leser den Geschichtsplan Gottes offen, der nach dem Untergang Judas und Jerusalem (586 v. Chr.) und der Abfolge der vier Weltreiche (Babylonien, Medien, Persien, Griechenland) in die universale Gottesherrschaft münden wird. Der Gott Israels, der in Dan als „Gott/Herr/König des Himmels“ bezeichnet wird, ist zu einem universalen Gott geworden, der seine Weltherrschaft mit Hilfe von (Völker)Engeln ausübt. Als einer dieser Völkerengel tritt in Dan 7 einer auf, der wie ein Mensch aussieht („Menschensohn“). Ihm wird die Gottesherrschaft übergeben.
Wie das 2. Makkabäerbuch rechnet auch Dan in 12,1-4.13 mit einer Auferstehung der Toten zu einem neuen Leben jenseits des Todes. Damit verbunden ist auch der Gedanke einer ausgleichenden Gerechtigkeit.
Die Vorstellung vom Menschensohn (vgl. synoptische Evangelien), die Auferstehung der Toten und vor allem das kritische Verhältnis zu menschlichen Herrschaftsformen, sind Punkte, die auch heute das Danielbuch für Christen als ein äußerst wichtiges Buch erscheinen lassen.