Das Buch Tobit
Die romanhafte Weisheitserzählung ist nach der Hauptfigur „Tobit“ benannt. Tobit bzw. Tobias leiten sich vom hebräischen Namen „Tobija“ (= gut ist JH[WH]) ab und bringen die Programmatik des Buches zum Ausdruck: Angesichts der konkreten Not wird JHWH Hilfe und vor allem Heilung bringen. Die konkrete Not ergibt sich aus der Diasporasituation. Angesichts einer fremden und feindlichen Umwelt gilt es, die eigene Glaubensidentität neu zu definieren, indem man die tradierten Glaubensinhalte entsprechend der neuen Umgebung neu ausgelegt. So wird in theologisch-kreativer Weise einer etwaigen Gottesferne begegnet und die Treue zur Tora (griechisch "nomos") als (Über)Lebensordnung aufrechterhalten.
Aufbau
Das Buch Tobit ist kunstvoll komponiert:
1,1-2 Buchüberschrift
1,3-3,17 zweiteilige Rahmenerzählung:
1,3-3,6 Leidensgeschichte Tobits in Ich-Form
3,7-17 Leidensgeschichte Saras in dritter Person
4,1-14,1 Binnenerzählung:
4,1-21 A Beauftragung von Tobias; Testament Tobits
5,1-23 B der Reisegefährte Asarja (= der Engel Raphael)
6,1-7,8 C Hinweg von Ninive nach Ekbatana; Handlungen des Engels,
die Heilung bewirken
7,9-10,7 D Heiratsvertrag, Hochzeitsnacht, Hochzeitsfest von Sara und Tobias
10,8-11,19 C’ Rückweg von Ekbatana nach Ninive
12,1-21 B’ Asarja gibt sich als Engel Raphael zu erkennen
13,1-14,1 A’ Lobgesang Tobits
14,2-15 zweiteilige Rahmenerzählung:
14,2-11 Testament Tobits an seinen Sohn Tobias
14,12-15 Tod des Tobias
Entstehung
Das Buch Tobit spiegelt die Diasporasituation in Form von Volks- und Familiengeschichten wider, da eigene staatliche Institutionen fehlen. Als Entstehungszeit wird das 2. Jh. v. Chr. angenommen. Entstehungsort ist entweder die östliche Diaspora oder Jerusalem. Die Textgeschichte des Tobitbuchs ist komplex: Ein aramäisches Original (Textfragmente wurden in Qumran gefunden) ist wörtlich ins Griechische übersetzt worden, wobei diese griechische Textform nochmals eine glättende und kürzende Bearbeitung erfahren hat. Die aus dieser Bearbeitung stammende griechische Textform liegt der Einheitsübersetzung zugrunde.
Inhalt
Das Tobitbuch stellt aufgrund der Diasporasituation eine Neuauslegung der Tora Israels dar, wobei vor allem das eigene Volk bzw. die Familie der Ort darstellt, wo sich die Tora realisiert. So wird nicht nur das Endogamiegebot (Heirat mit einem / einer Stammesangehörigen) betont, sondern auch die Bestattung der eigenen Volksangehörigen. Ebenso stehen die Armenfürsorge, die Sorge um die eigenen Eltern und den eigenen Bruder im Mittelpunkt einer auf Solidarität gründenden Gesellschaft. In einer solchen Gesellschaft, die hohe Binnenkräfte entwickelt und sich dadurch identitätssichernd von der Umwelt abhebt, spiegeln praktizierte Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit den Heilswillen Gottes wider. Diese verborgene Gegenwart des heilenden Gottes, die sich in einer alltagstauglichen Torafrömmigkeit äußert, erhält vor allem in der Gestalt des heilenden Engels Raphael (hebräisch „als Heiler erweist sich Gott“) ihre Himmel und Erde verbindende Verkörperung.